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Brückenbauer 22, 28. Mai 1997

Derbe
Musik zur Irritation


Primitive Lyrics


Primitive Lyrics sind die bestandensten Hip-Hopper der Deutschschweiz. Jetzt sind die Zürcher Rapper mit der zweiten CD "Plag" auf Tournee.

Für viele ist die Hip-Hop-Szene eine Plage - zumal in den USA, wo sich millionenschwere Gangsta-Rapper bis aufs Blut befehden und militante Gangs nach dem Krieg der Worte auch die Gewehre sprechen lassen. Nicht so in der beschaulichen Schweiz. "Auch wenn wir andere Bands dissen, also mit Sprüchen in unseren Songs beschimpfen, besteht keinerlei Feindschaft untereinander", bekennt Gitarrist Ivo. Im Gegenteil: Fast zu einträchtig sei die kleine Schweizer Hip-Hop-Szene, finden die sieben Musiker der ältesten Deutschschweizer Rapband.

Eigene Wege

"Fast schon vermissen wir die Konkurrenz untereinander. Einmütig wollen andere sich zur Rap-fraktion zusammenschliessen und bringen schmalbrüstige Sampler wie etwa 'Best Shots' heraus." Das ist nicht Sache der Primitive Lyrics: Das Zürcher Septett, bestehend aus Koni Weber (Drums), Raffi Schmid (Bass), Ivo Pescia (Gitarre), Alexx Bossard (Sax), Kay-Zee (Samples), sowie dem Rap-Duo Oli "Baumee" Baumgartner und Redl geht seit 1991 seinen eigenen Weg. Mit Erfolg: Scharfzüngige Rap-Reime, schneidende Beats und viel tanzbarer Groove zeichnen den Sound der Gruppe aus, die soeben ihr zweites Album veröffentlichte.

Mit dem doppeldeutigen Albumtitel "Plag" will die Band im wahrsten Sinne des Wortes sein Publikum plagen: "Denn nur durch Irritation wird man wahrgenommen, weshalb wir derbe Musik machen" enthüllt Texter Baumee das Rezept der Primitive Lyrics. Deshalb sorgt der Blick auf blau-orange CD-Cover für ein Gehirnflimmern, das durch die äusserst lebendige Aufnahme der Songs unterstützt wird.

"Produzent Dani Wüthrich erlaubte die Umsetzung unserer Vorstellung von kräftigen Rap-Songs", meint Ivo. "In seinem Studio gelang uns eine tiefe Verarbeitung des Materials. Das Tüfteln machte uns dermassen Spass, dass wir jetzt wohl immer noch am Aufnehmen wären, hätte uns die Plattenfirma nicht unter Druck gesetzt."

Persönliche Texte

Doch die "Plag"-CD ist alles andere als ein Schnellschuss, sie überzeugt rundum: Im Gegensatz zum früheren Album "Halbinüni Chlorzicht" von 1994 griff die Band erstmals auf "Samples" zurück und spielte die technischen Raffinessen des Studios voll aus. Die Texte, im herben Züritüütsch gehalten, sind sehr persönlich geworden und damit Abbild einer sehr heterogenen Band, die sich aus einem Devisenhändler, Banker, Profimusiker, Dekorateur, Soziologiestudenten und zwei Künstlern zusammensetzt.

Verschiedene Weltsichten der 25- bis 29jährigen Musiker treffen aufeinander, aber eine Moral wird nicht verbreitet. "Wir wollen keinesfalls die Missionare raushängen", so Baumee, "das tun schon genug andere." Vielmehr beschäftigen sie die Partnersuche in Fernsehshows, Phantasien wie die Machtergreifung in Zürich oder das Tabuthema Selbstbefriedigung. Street Credibility made in Zürich. Baumee begründet: "Wichtig ist, dass die Texte aus unserem Leben stammen."

Dass sie viel Humor und gar Selbstironie besitzen, beweisen die Primitive Lyrics nicht nur live: Mit Sängerin Sabina Leone von Wemean nahmen sie den Ohrwurm "Estate Novantasette" auf. "Dennoch schielen wir mit unserem ironischen Hit nicht auf die Hitparade, denn wahre Rap-Kunst ist nicht für den Mainstream gemacht", sagt Ivo. Selbstbewusst sind die Musiker allemal, und Baumee erklärt: "Heute rappen wir nicht mehr für die Leute, sondern für uns." Aber ganz ernst zu nehmen sind beide Aussagen nicht: Gerade die liebt eine immer grösser werdende Fangemeinde an Primitive Lyrics.

Mathias Haehl

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