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PRIMITIVE LYRICS: NEUES ALBUM UND CH TOUR

Geruchsfreie Heuschreckenplage

ERNST 2. April 1997

PL
Reime gegen die Konkurrenz und das Lokalfernsehen: redl (ganz vorne) und Baumee (ganz links) mit Primitive Lyrics

Die dienstälteste Zürcher Hip-Hop-Gruppe, Primitive Lyrics (PL), befindet sich im Umbruch. Ihr zweites Album "PLAG" kommt vom Raprock weg, hin zu clubbiger Zukunftsmusik und Digital-Grooves.

Von Thomas Früh

"Möge diese Platte wie eine Heuschreckenplage über jeden Laden und jedes Wohnzimmer kommen", wünscht und warnt Rapper Baumee (Oliver Baumgartner) gleichzeitig: "Wir wollen die Leute mit unserer Derbmusik plagen." Die versprochenen Plagen beginnen schon beim schockfarbigen Albumcover, das in den Augen ein unangenehmes Flimmern hervorruft und setzen sich in 13 Rapstücken und den zwei jazzigen Instrumentals fort. Im Vergleich zum PL-Debüt "Halbinüni Chlorzicht" (1994) bleibt im aktuellen Soundkonzept kein Stein mehr auf dem anderen.

AHA-ERLEBNIS IM TONSTUDIO

Stark gewandelt hat sich vor allem die Musik des Septetts. Nicht mehr die Instrumente geben den Ton an, sondern die technischen Möglichkeiten des voll digitalisierten Studios. Die Band nimmt Abschied von Songstrukturen und Soli und braucht lieber Sounds und Samples, Beats und Loops. Mit dem Resultat, dass es bei PL nicht mehr rockt und rollt, sondern wabert und fliesst, driftet und zischt - und groovt. Hier ein bisschen Jungle, dort "Jazznotjazz", die Melodien, zu Schnörkeln verkürzt, eine einsame Flöte, die sich aus dem Soundnebel schält und wieder entschwindet, Gitarrenriffs blitzen auf, eine alte Orgel sagt hallo - aber im Grunde werden die Stücke beherrscht von finsteren Pulsen und verhackstückten, neu zusammengefügten Sounds, geklonten Klängen. Die Kunst, "mit enorm viel Aufwand etwas möglichst Billiges zu produzieren", sagt Baumee trocken.

Primitive Lyrics gingen als Musiker ins Studio und kamen

als Meta-Musiker wieder heraus. Oder anders: Jetzt können sie statt aus Tönen aus Musik Musik machen. Verschont von dieser Radikalkur - Fleischwolf oder Fegefeuer? - blieb einzig ihr Markenzeichen: der schreihalsige, scharfzüngige, aufhetzerische Duo-Rap-Stil.

WEG IN DIE HITPARADE

Inhalte, Aussagen und Messages sind jetzt privat statt politisch. Redl und Baumee rappen vermehrt aus dem hohlen Bauch heraus und schleusen ihren Redeschwall nicht mehr durch den Filter politischer Korrektheit. So bringt der Track "Einhändig" das Tabuthema Onanieren aufs Tapet und "Was seisch?" ist die Fantasie einer Machtergreifung in Zürich. Die Lokalkonkurrenz von Sendak wird gedisst (angeschwärzt) und die Balz-Show im Lokalfernsehen ("Züri Date"; s. Kästchen) durch den Kakao gezogen. Provozziert von der Fugees-Hitwelle haben PL mit Sabina Leone von Wemean ausserdem eine Gastsängerin angeheuert, die ihren Weg in die Hitparade ebnen soll ("Estate Novantasette"). Der Wunsch, endlich am Radio gespielt zu werden, verkehrt sich ins Gegenteil: in einen Anti-Hit. Weitere Gäste, darunter EKR alias Thomas Bollinger - einer der ersten und auffälligsten Rapper und Sprayer Zürichs -, der bei der Gruppe Kultstatus geniesst, wirken im druckvollen Stück "Chorus zum Vorus" mit. Doch häufen sich dort wie andernorts die Nonsens-Reime, dass sich ein Vergleich mit dem "Ill-Communication"-Konzept der Beastie-Boys aufdrängt - oder wie Redl es formuliert: "Scheisse erzählen, ohne dass es stinkt".

HOHN UND SPOTT FÜR "ZÜRI DATE"

Im Zweiten Song zieht der Rapper Redl über das ebenso beliebte wie umstrittene "Züri Date" auf Tele Züri vom Leder: "Ich red vo Züri Date, schlimmer als wänns im Juli schneit." Zungenfertig schüttet er Hohn und Spott über die einfältigen Paarungskandidaten und mokiert sich über das Aussehen, Lachen und Augenaufschlag der Starmoderatorin Patricia Boser. Als sie das Rapstück hört muss sie laut auflachen. "Super! Heiss!", ist ihr erster Kommentar dazu. In Anlehnung an ihre Sendung, "die sich niemand anschaut, aber alle gesehen haben", wünscht sie dem PL-Song, "dass ihn niemand kennt, aber alle gehört haben". Amüsiert erhofft sie sich für die Band, dass die Plattenverkäufe die Höhe ihrer Einschaltquoten (113 000 Zuschauer) erreichen: "Wenn mein Kommerz ihnen Promotion bringt, dann ist das doch super für ihr Underground-Zeugs. Ich wünsche ihnen viel Erfolg und möchte sie auch in meine Sendung einladen."

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